Geschichte der Berufsbildung
Die Struktur der heutigen Sekundarstufe II ist das Ergebnis zweier historischer Bewegungen im Mittelalter: der Lateinschulen und der Lehrlingsausbildung. Die Mönche unterrichteten in den Schriften und vermittelten die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten. Die Zünfte in den Städten hatten das Monopol der Lehrlingsausbildung. Aus der handwerklichen Ausbildung entwickelte sich im Mittelalter die Meisterlehre.
Meilensteine
Die Regierung der Helvetischen Republik (1798-1803) entwarf einen Plan für ein nationales Bildungssystem, das den Besuch der Primarschule für alle Kinder, die Einrichtung von Lehrerseminaren, die Schaffung eines Berufsschulwesens und die Gründung einer Landesuniversität vorsah. Nach dem Untergang der Helvetik übernahmen die Kantone wieder die Verantwortung für das Schulwesen. Die Helvetik und ihre Bildungspläne scheiterten, aber die Ideen überlebten und setzten sich durch.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Schweiz ein armes Land. Die Entwicklung von Industrie und Handel verlangte nach besserer Bildung. Überall entstanden Volksschulen, Lehrerseminare, Real- und Gewerbeschulen. Gymnasien richteten Industrie- oder Handelsabteilungen ein, um mit der wissenschaftlichen, technischen, industriellen und kommerziellen Entwicklung Schritt zu halten. Die Kantone schufen Gesetze. Das Recht auf unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht für alle wurde 1874 in der Bundesverfassung verankert. Der Grundstein für ein vielfältiges und solides Bildungssystem war gelegt.
Die grossen internationalen Ausstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machten auf den Fortschritt und die Qualität der Produkte von Handwerk und Industrie aufmerksam. Fast überall in Europa entstanden Schulen und Werkstätten zur Förderung der Berufsausbildung.
Der Schweizerische Gewerbeverband forderte die Einrichtung von Lehrwerkstätten. Gefordert wurden auch Regelungen über die Dauer der Lehrzeit, den Besuch von Berufsschulen und die Lehrabschlussprüfung.
1884 verabschiedeten National- und Ständerat den „Bundesbeschluss betreffend die gewerbliche und industrielle Berufsbildung“ und subventionierten anerkannte Berufsschulen und andere Institutionen. Bald folgten ähnliche Beschlüsse für die kaufmännische, die landwirtschaftliche und die hauswirtschaftliche Ausbildung. In den Kantonen wurden um die Jahrhundertwende Berufsbildungsgesetze erlassen. Vor allem in der Westschweiz entstanden Lehrwerkstätten für die Uhren-, Textil-, Holz-, Metall- und Lederindustrie. Aus den bestehenden Zeichenschulen entwickelten sich gewerbliche Fortbildungsschulen.
Zur Förderung der arbeitenden Jugend, insbesondere der Lehrlinge, wurden ab 1894 so genannte „Lehrlingspatronate“ eingerichtet. Sie sollten „alle jene Aufgaben praktisch lösen, welche geeignet sind, die berufliche und sittliche Tüchtigkeit des künftigen Berufsstandes zu heben“, wie es in einem Aufruf des Schweizerischen Gewerbeverbandes und der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft hiess. Jedem Lehrling wurde ein Patron zugeteilt, der mit den Eltern und dem Lehrmeister Kontakt hielt, um nötigenfalls helfend und schlichtend einzugreifen. Aus der Idee des Lehrlingspatronats entwickelte sich die Berufsberatung. Die Patronatsvereine berieten die Lehrlinge nach den Bedürfnissen der Wirtschaft. Aus dem 1902 gegründeten Verband Schweizerischer Patronate ging 1916 der Schweizerische Verband für Berufsberatung hervor.
Das erste Berufsbildungsgesetz von 1930
1908 stimmte das Schweizer Volk der Förderung des Gewerbes durch den Bund zu. Artikel 34 der Bundesverfassung lautete: „Der Bund ist befugt, einheitliche Vorschriften über das Gewerbe zu erlassen“. Auf Grund dieser Verfassungsnorm wurde beschlossen, drei Gesetze vorzubereiten: eines über den Schutz des Gewerbes, eines über den Schutz der Arbeitnehmer/innen im Gewerbe und eines über die berufliche Ausbildung. Letzteres wurde zuerst in Angriff genommen. Durch den Ersten Weltkrieg und Meinungsverschiedenheiten verzögerte sich jedoch die Realisierung.
Berufsbildungsgesetz von 1930
Der Bund forderte zur Einreichung von Postulaten auf. Es gingen zahlreiche Vorschläge ein, darunter ein Gesetzesentwurf des Schweizerischen Arbeiterbundes (1911) und ein Gesetzesentwurf des Schweizerischen Gewerbeverbandes (1918). Darauf aufbauend und begleitet von zwei Expertenkommissionen veröffentlichte das Eidgenössische Arbeitsamt 1924 einen eigenen Entwurf. Im Zentrum standen die Berufslehre (praktische Ausbildung) und die Berufsbildung (Unterricht in der Berufsschule). Leitgedanke des Berufsbildungsgesetzes war es, „die berufliche Tüchtigkeit durch Förderung der beruflichen Ausbildung des Nachwuchses auf jede geeignete Weise zu heben“. Der Vorentwurf wurde allgemein positiv aufgenommen. Lediglich der Schweizerische Handels- und Industrieverein und der Zentralverband der Arbeitgeberorganisationen lehnten den Entwurf ab, da sie eine Ausdehnung der Bestimmungen über die gewerbliche Berufsbildung auf die Industrie ablehnten. Das Gesetz wurde im Januar 1930 von den eidgenössischen Räten verabschiedet, konnte aber wegen der Wirtschaftskrise erst 1933 in Kraft treten.
Das Berufsbildungsgesetz von 1930 galt für Handel und Verkehr sowie für Handwerk und Industrie und schloss das Gastgewerbe und die Heimarbeit ein. Es sah eine Mindestlehrzeit von einem Jahr und eine Überwachung durch kantonale Inspektoren oder durch Zwischenprüfungen vor. Für den Berufsschulunterricht waren die Kantone zuständig. Er sollte möglichst in berufsreinen Klassen und mit Lehrlingen des gleichen Lehrjahres erteilt werden. Neben der Lehrlingsausbildung regelte das Gesetz auch die Lehrabschlussprüfung, die Meisterprüfung, die Prüfung für angelernte Arbeitskräfte und die Vorlehrkurse.
Das Gesetz führte allerdings nicht zu einem sofortigen Anstieg der Lehrlingszahlen. 1935 absolvierten erst rund 40 Prozent der schulentlassenen jungen Männer und nur 20 Prozent der Frauen eine Lehre. Damals gab es in der Schweiz 40 Vollzeit-Berufsschulen. Der grosse Aufschwung der Berufsbildung setzte erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein.
Die Normallehrpläne gemäss Wegleitung aus dem Jahre 1941 unterscheiden für die Gewerbeschule zwischen folgenden Fächern:
Geschäftskundliche Fächer
- Buchhaltung
- Staats- und Wirtschaftskunde
- Muttersprache
- Rechnen
Berufskundliche Fächer
- Zeichnen
- Berufskunde (inkl. gewerbliche Naturlehre)